Soeben komme ich von einer Supervision mit Schwerpunkt Somatic Experiencing® Trauma-Arbeit nach Hause – und es war wieder einmal ein sehr inspirierender, lehrreicher und spannender Austausch mit meinen KollegInnen. Ein Aspekt hat mich jedoch nachdenklich werden lassen – ja, sogar ein bisschen traurig. Das Thema war Berührung im therapeutischen bzw. beraterischen Kontext. Für meine KollegInnen aus der Körperarbeit ist Berührung in der Arbeit selbstverständlich. Doch wie sieht es mit jenen aus, die aus der Psychotherapie oder Beratung kommen. In diesen Fällen ist die Arbeit mit Berührung oft ein Tabu. Eine Kollegin erzählte, dass sie gelegentlich Bälle nutzt, um eine Berührung, eine Art Ball-Massage, durchzuführen, ohne in direktem Kontakt mit ihren KlientInnen gehen zu müssen. In diesem Moment habe ich mich gefragt, wie es sein kann, dass etwas so Wunderbares und Heilsames wie eine Berührung (sofern mit gegenseitigem Einverständnis), mit so viel Vorbehalt behaftet ist.
Die Bedeutung von zwischenmenschlicher Berührung lässt sich kaum überschätzen. Durch Berührung – gebend wie auch empfangend – gehen wir in Resonanz mit unserem Gegenüber. Wir fühlen uns verstanden und in einen sozialen Zusammenhang eingebettet. Für mich sind daher emotionale und körperliche Berührungen in der Arbeit mit traumatisierten KlientInnen für den Heilungserfolg essenziell – insbesondere in körperorientierten Therapien wie Somatic Experiencing®
Woher kommt die Berührungsabstinenz in der Therapie?
Begründet ist die Berührungsabstinenz in der Abstinenzregel der klassischen Psychoanalyse, die TherapeutInnen verbietet, mit ihren KlientInnen sexuellen Kontakt aufzunehmen. Zu Zeiten Sigmund Freuds berührten sich die Menschen generell körperlich eher wenig, was dazu führte, dass körperliche Berührungen schnell in einen sexuellen Kontext gesetzt wurden. Die Abstinenzregel führte daher zu einer weitgehenden Ablehnung jeglichen Körperkontakts in der Therapie – und schwebt teilweise bis heute über der therapeutischen Arbeit. Wie kommt es also, dass wir im Therapie- bzw. Beratungskontext dennoch Berührungen einsetzen, wenn die Körperarbeit nach wie vor als so heikel angesehen wird?
Im Körper sind all unsere Erinnerungen und Erlebnisse gespeichert – sämtliche Interaktionen, Verletzungen, Berührungen, Gutes wie Schlechtes. Um belastende Erfahrungen zu lösen und abfließen zu lassen, brauchen wir manchmal den Körperkontakt der Therapeutin/des Therapeuten, um genau das zu unterstützen. Eine Berührung kann tiefgehend heilsam sein, wenn sie im richtigen Kontext, zum passenden Zeitpunkt und mit einer angemessenen Intention gegeben wird
Wann ist eine Berührung angemessen?
Bei deiner Berührung im therapeutischen Kontext, ist die Haltung des Gebenden von großer Bedeutung. So soll die Berührung nicht die eigenen Bedürfnisse kompensieren oder aus dem eigenen inneren Kind heraus entstehen. Wenn sich TherapeutInnen bzw. BeraterInnen ihre mütterlichen und väterlichen Dimensionen angeeignet haben, kann eine heilsame Berührung ohne Grenzüberschreitung stattfinden. Es ist Aufgabe der TherapeutInnen angemessene Grenzen zu setzen – das ist wichtig, da KlientInnen oft im therapeutischen Kontext aus ihrem Kind-Ich heraus agieren und Kinder niemals für das Setzen von Grenzen verantwortlich gemacht werden können. Es braucht daher TherapeutInnen, die Grenzen setzen und auch klar kommunizieren können. Ebenso wichtig ist die emotionale Unterstützung der KlientInnen, da durch das Grenzen-setzen ein Gefühl der Ablehnung hervorrufen werden kann.
Warum ist Berührung in der Therapie wichtig?
Wenn mit körperlichen Berührungen in der Therapie/Beratung gearbeitet wird, kann das unsere Wahrnehmung für den Körper steigern, für seine Präsenz und die Intensität unserer Gefühle. Sie dient der nonverbalen Kommunikation und kann für Ausdrucksbewegungen genutzt werden. Sie öffnet einen Kommunikationskanal, der oft in kognitiv-sprachlicher Form gar nicht erreichbar ist. Eine Berührung kann aktivieren, harmonisieren oder beruhigen. Sie kann Haltgeben und fürsorgliche Zuwendung schenken.
In der Arbeit mit meinen KlientInnen erlebe ich häufig, dass sie durch Berührungen tiefer ins Spüren hineinfinden. Speziell in der Trauma-Arbeit mit Somatic Experiencing® unterstützt die Körperarbeit zusätzlich das Lösen von belastenden Ereignissen, da diese im Körper abgespeichert sind. Viele meiner KlientInnen befinden sich „im Kopf“, sind also sehr kognitiv unterwegs. Das Hineinspüren in den Körper und das Orten von Gefühlen fällt dann oft gar nicht so leicht. Die Berührung hilft ihnen dabei, den Fokus auf das Geschehen im Körper zu halten.
Berührung und Trauma
Durch die Berührung und das intensive Spüren von Gefühlen im Körper gehen wir auch mit uns selbst mehr in Kontakt. In der Arbeit mit traumatisierten Klientinnen kommt es immer wieder dazu, dass ein Trauma aktiviert wird (nicht zu verwechseln mit einer Re-Traumatisierung!). Dies kann sich in körperlichen oder in psycho-emotionalen Anzeichen ausdrücken – wie z.B.
- Anspannung von Muskeln (geballte Hände, zusammengepresster Kiefer, Hochziehen der Schultern)
- Erschlaffen von Muskeln (hängenlassen von Gesichts- und Schultermuskeln)
- Abflachung der Atmung
- Plötzliches Zittern
- Kalte oder heiße Hände/Füße
- Plötzliche Gefühle wie Wut, Angst, Traurigkeit
- Fragen können nicht mehr klar beantwortet werden
Insbesondere durch das Integrieren von Berührung, können diese Anzeichen stärker zu Tage treten. Damit sich KlientInnen sicher fühlen können, braucht es einen sicheren Rahmen, die Möglichkeit sich immer wieder im Hier und Jetzt zu orientieren und TherapeutInnen, die präsent sind.
Die Kraft der Berührung vermag die therapeutische Beziehung zu stärken und das volle heilsame Potenzial entfalten. Ich halte es daher für essenziell keine Angst vor Berührung im therapeutischen Kontext zu haben und sie in passenden Momenten im Prozessverlauf einzusetzen. Es gibt großartige Methoden, wie Nuad Thai Yoga oder Cranio Sacral Therapie, die gesprächslastige Ansätze wunderbar ergänzen – und somit den Therapie-/Beratungserfolg tiefgreifend unterstützen können.
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